Hintergrund
Jedes Team verfügt über eine eigene Kultur aus Werten, Haltungen und Verhaltensweisen, die von den individuellen Interessen, Bedürfnissen und Ansichten der Teammitglieder beeinflusst und durch sie gebildet wird. Sie ist mitverantwortlich dafür, wie gemeinsam gehandelt wird und Entscheidungen getroffen werden. Meistens entsteht eine solche Kultur zufällig aus der gemeinsamen Arbeit, aus der Art, wie Aufgaben erledigt, Probleme besprochen und Konflikte gelöst werden. Das bedeutet aber auch, dass sie implizit ist, nicht definiert, nicht ausgesprochen, und sich somit auch in eine Richtung entwickeln kann, die sich für die Zusammenarbeit letztlich als dysfunktional erweist. In solchen Fällen ist es hilfreich, die Kultur explizit zu machen und die Regeln der Zusammenarbeit neu auszuhandeln, zum Beispiel mit einem sogenannten Team-Agreement.
Die Idee eines Team-Agreements ist nicht neu; einen „Code of Conduct“ (ein etwas altmodischer Name für ein Team-Agreement) kannten etwa bereits die Piraten des „Golden Age of Piracy“ (ca. 1650–1726). Sie gaben sich als Gruppe für das Zusammenleben auf dem Schiff gemeinsame Regeln, die alle unterschrieben. Historische Dokumente dieser Vereinbarungen belegen, wie vielfältig und unterschiedlich sie ausgefallen sind – zum Beispiel:
- Wenn das Schiff anlegt, sorgen alle zuerst dafür, dass es wieder bereit zum Auslaufen ist, bevor man an Land geht.
- Den Verteilschlüssel für eventuelle Beute legen wir im Voraus fest.
- Jede Person ist selbst dafür zuständig, ihre Waffen sauber und einsatzbereit zu halten.
- Kartenspiele nur an Deck.
Die Piraten erkannten schon damals, dass das Zusammenleben und die Zusammenarbeit besser gelang, wenn die Mannschaft sich zusammensetzte und gemeinsam entsprechende Regeln beschloss, als wenn Regeln von extern einfach übernommen oder allein vom Kapitän bestimmt wurden. Der größte Nachteil solcher aufoktroyierten Regeln ist damals wie heute der gleiche: Alle können nur auswählen, ob sie sich den Regeln unterwerfen möchten oder ob sie dagegen rebellieren wollen – beides unterdrückt aber die individuellen Bedürfnisse der Mitglieder. Besser ist es daher, sich gemeinsam den Fragen zu widmen: Wie wollen wir zusammenarbeiten? Was wollen wir beachten? Was hilft uns, gemeinsam in den Flow zu kommen?
Kurzbeschreibung
Das „Team-Agreement“ ist eine in einem gemeinsamen Workshop entwickelte Abmachung darüber, wie die Teammitglieder zusammenarbeiten wollen. Durch das Erarbeiten einer solchen Zusammenarbeitsvereinbarung werden (implizite) Erwartungen in Worte gefasst und damit besprechbar gemacht. Somit verstehen alle Teammitglieder, was den anderen Teammitgliedern wichtig ist, und machen sich zudem bewusst, worauf sie in der Zusammenarbeit selbst Wert legen. Dies hilft im Alltag dabei, eine Kultur der Zusammenarbeit zu prägen, die für alle Teammitglieder passt und in der sie gemeinsam in den Flow finden können.
Als Hintergrund ist wichtig, zu verstehen, dass alle Personen in einem Team einen eigenen Kultur-Rucksack mitbringen. Darin stecken alle Erfahrungen, Vorgehensweisen und Glaubenssätze dazu, wie „man“ arbeitet und mit anderen zusammenarbeitet. Werden die Inhalte dieser Rucksäcke nicht ausgepackt und angeschaut, merkt niemand, dass alle unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was gute Zusammenarbeit bedeutet Der gemeinsame Workshop erlaubt, die eigenen Rucksäcke auszupacken und den anderen Teammitgliedern zu zeigen, was einem für die Zusammenarbeit besonders wichtig ist. Danach kann das gesamte Team daraus einen neuen, gemeinsamen Rucksack bepacken.
Ziele und Einsatzmöglichkeiten
Das Team-Agreement hilft dabei, die Teamkultur zu definieren und gemeinsam darauf hinzuarbeiten, dass diese Kultur effektiv entsteht. Es ist kein Papiertiger, sondern ein lebendiges Dokument, das den sich verändernden Bedürfnissen des Teams immer wieder angepasst werden sollte und laufend genutzt wird, um zu besprechen, was man tun kann, um die gewünschte Teamkultur mit Leben zu füllen.
Da jedes Team ohnehin über eine Kultur verfügt, kann das Team-Agreement auch in jedem Team jeder Organisationsform eingerichtet werden, um den Arbeitsflow und die Zusammenarbeit zu verbessern.
Setting
Ein Team-Agreement sollte in einem Mini-Workshop mit dem ganzen Team entwickelt werden. Je nach Teamgröße dauert dies ein bis zwei Stunden. Wichtig zur Erstellung sind ein ausreichend großer Raum, in dem sich auch bewegt werden kann, mehrere Stellwände oder Flipcharts, um Aussagen sichtbar anzubringen, sowie Materialien eines Standard-Trainerkoffers wie Post-its, Moderationskarten, Stifte und Klebepunkte.
Durchführung
Der Workshop beginnt mit drei Fragen:
- Frage 1: „Was brauchst du, um bei der Arbeit im Flow zu sein?“
- Frage 2: „Was reißt dich aus dem Flow/ bremst dich bei der Arbeit?“
- Frage 3: „Welche Abmachungen im Team fändest du sinnvoll, damit alle gut arbeiten können?“
Diese Fragen werden nacheinander mit einem identischen Ablauf bearbeitet: Zuerst schreiben alle zur jeweiligen Frage zwei bis drei Post-its mit ihren Antworten (im Folgenden als „Bausteine“ bezeichnet). Im Anschluss lesen alle reihum ihre Antworten kurz vor (und hören einander aufmerksam zu). An dieser Stelle gibt es keine Kommentare und kein Diskutieren. Im Anschluss geht es nach demselben Verfahren mit der nächsten Frage weiter.
Ist die Beantwortung der Fragen abgeschlossen, geht es im nächsten Schritt darum, alle Bausteine, die so eben gesammelt wurden, zu priorisieren. Dies geschieht in den folgenden 13 Schritten.
Schritt 1: Ideen anordnen
Alle Post-its (Antworten auf die drei Fragen und alle zusätzlichen Bausteine aus anderen Team-Agreements, siehe „Variation“) werden – etwa auf einem Flipchart – so angeordnet, dass alle sie lesen können. Die Reihenfolge spielt keine Rolle.
Schritt 2: Kriterium nennen
Beim Team-Agreement gibt es ein generelles Kriterium für die Priorisierung: „Das wäre hilfreich, um noch besser zusammenarbeiten zu können.“ Bei einem negativen Element wie „Lärm“ wäre das Kriterium etwa: „Es ist wichtig, sich um das Lärmproblem zu kümmern, damit wir besser zusammenarbeiten können.“
Schritt 3: Priorisieren
Nun lesen alle Teilnehmenden alle Post-its durch und markieren jedes Post-it, das sie besonders anspricht. Das kann zum Beispiel mit einem Punkt sein, einem Herz oder den eigenen Initialen. Es ist hilfreich für den nächsten Schritt, wenn alle beim Markieren großzügig sind. Die Teilnehmenden erhalten deshalb den Hinweis: „Setze auf jedes Post-it, das dich anspricht, einen Marker, auch wenn der Inhalt schon mal vorgekommen ist.“
vorgekommen ist.“
Schritt 4: Gewinner herauspicken
Für den nächsten Schritt empfiehlt es sich, mit idealerweise 10 bis 20 Post-its (maximal 30 Post-its) weiterzuarbeiten. Dazu werden die Post-its herausgepickt, die von den meisten Teammitgliedern markiert wurden.
Schritt 5: Clustern (nonverbal)
Die am höchsten bewerteten Post-its werden so platziert, dass sie alle sehen und bewegen können. Die Teammitglieder nehmen nun Post-it für Post-it und ordnen diese in Themen-Wolken (Cluster) an. Also: Welche Post-its gehören zusammen und „laden“ sich gegenseitig auf? Alle sind aufgerufen, mitzumachen – ohne zu sprechen (!) – und jederzeit Post-its zu verschieben, bis das Bild für alle stimmt. Dabei kann es sein, dass ein Cluster nur aus einem Post-it besteht.
Schritt 6: Gemeinsames Verständnis
Beginnend mit der Themen-Wolke mit den meisten Post-its, erläutern jeweils zwei Teammitglieder ihre Gedanken zu diesem Cluster und erklären, wofür es in ihren Augen steht. Wichtig: Es sollten pro Wolke immer zwei andere Personen sein. Nun haben alle ein erweitertes Bild, was der Gruppe wichtig ist.
Schritt 7: Punkte verteilen
Alle bekommen nun drei Punkte und verteilen diese auf die drei Cluster, die für sie am wichtigsten sind. Mit den vier bis sechs Clustern, die die meisten Punkte erhalten haben, geht der Workshop weiter.
Schritt 8: Formulieren von Agreement-Sätzen
Jetzt geht es darum, Sätze auszuformulieren, die die Elemente im Cluster zusammenfassen. Es ist sinnvoll, wenn diese Sätze mit „Wir“ beginnen (siehe „Variation“). Jede Person formuliert schriftlich einen Vorschlag für einen der vier bis sechs Cluster. Sobald eine Person einen Vorschlag für einen Cluster formuliert hat, kann sie einen zweiten Cluster auswählen und formulieren. Das Ziel ist, dass jeder Cluster mindestens zwei mögliche Formulierungen hat, die sichtbar für alle notiert sind.
Schritt 9: Basis pro Cluster auswählen
Für jede Cluster-Formulierung wird ein kleiner Entscheidungsprozess durchgeführt: Zuerst werden alle Formulierungsvorschläge jedes Clusters laut vorgelesen. Danach erhalten alle Personen einen Klebepunkt. Mit diesem wählt jede Person die Formulierung aus, in der sie die geeignetere Basis für die „Schlussredaktion“ sieht. Dies wird für jeden Cluster wiederholt.
Schritt 10: Alle gewählten Cluster lesen
Die Formulierungen mit den meisten Punkten pro Cluster werden nun übereinander angeordnet und alle nacheinander vorgelesen, damit alle Sätze einmal gehört wurden.
Schritt 11: Adaptieren (wiederholen für jeden Cluster)
Nun geht es zurück zum ersten Satz. Alle dürfen Verbesserungsvorschläge anbringen (Vorschläge werden auf ein Post-it geschrieben und neben den Satz geklebt). Jedes Post-it wird kurz besprochen und gemeinsam entschieden, welche Änderungen Sinn machen. Dazu kann eine Ja-/Nein-/ Anders-Abstimmung helfen. Die Änderungen, auf die man sich einigen konnte, werden umgesetzt, und der Satz wird neu aufgeschrieben. Dieser Prozess wird für jeden Cluster wiederholt.
Schritt 12: Reihenfolge
Alle bringen nun die ausformulierten Sätze gemeinsam in eine stimmige Reihenfolge. Was steht ganz oben im Agreement? Welche Gedanken reihen sich aneinander? Und was ist der beste Schlusspunkt?
Schritt 13: Fertigstellen (als ein Text)
Am Schluss werden die fertigen Sätze untereinander notiert (auf einem Flipchart oder am Computer) und das Agreement wird allen zur Verfügung gestellt.
Variation
Möchte ein Team keine eigenen Bausteine entwickeln oder fehlt dafür die Zeit, kann auch mit Bausteinen, die sich andere Teams in Team-Agreements gegeben haben, gearbeitet werden. Nachfolgend sind eine Reihe von Beispielen aufgelistet:
- Wir arbeiten lösungsorientiert.
- Wir nutzen das Wissen und die Perspektiven aller im Team.
- Wir bringen uns alle aktiv ein.
- Wir nutzen unsere individuellen Stärken.
- Wir denken positiv.
- Zusammen zu lachen, ist wichtig!
- Wir sind ehrlich miteinander, auch wenn das nicht immer einfach ist.
- Wir akzeptieren die Schwächen der anderen und helfen einander, besser zu werden.
- Wir wissen, dass alle anders sind, und schätzen die Diversität.
- Wir kommunizieren klar und sachlich und pflegen eine ehrliche Feedbackkultur.
- Ich teile alle relevanten Informationen mit dem Team.
- Wir tragen mit positivem Denken, Humor und gegenseitigem Verständnis aktiv zu einem guten Arbeitsklima bei.
- Wir gestalten unsere Arbeit so, dass sie uns Freude macht.
- Statt Kritik nehme ich die Haltung ein: „Was kann ich dazu beitragen?“
- Wir lernen zusammen, indem wir reflektieren und verbessern. Ich arbeite an mir selbst.
- Wir reden nicht über Leute, die nicht anwesend sind.
- Wir sind mutig.
- Wir schaffen Flow, wenn die Dinge stocken.
- Wir nutzen unsere Stärken, um einander zu unterstützen.
- Wir unterstützen und motivieren uns gegenseitig.
- Wir übernehmen Verantwortung und Initiative.
- Probleme sprechen wir an.
- Wir adressieren Spannungen, bevor sie Konflikte werden.
- Wir begegnen uns wertschätzend.
- Diese Bausteine können auch ergänzend zur Suche eines Teams nach eigenen Bausteinen angeboten werden. Alle können die Bausteine wählen, die sie am hilfreichsten finden.
Wirkung
Das Team-Agreement ist sozusagen explizit gemachte Teamkultur. Es basiert auf den Flow-Bringern und Flow-Bremsern der Teammitglieder und sorgt dafür, dass die Teamkultur so ausgestaltet ist, dass alle einzeln und als Team möglichst viel Flow erleben. Das Agreement zeigt auf, worüber ein Team sich einig und was in der Zusammenarbeit wichtig ist. Es ist eine gemeinsam hergestellte Klarheit, eine gemeinsame und freiwillige Verpflichtung, zu der alle Ja sagen.
Dass die Vereinbarungen immer wieder mal aus den Augen verloren, vergessen oder im Stress anders gehandhabt werden, liegt in der Natur der Sache und ist nicht tragisch. Denn da das Agreement schriftlich festgehalten wurde, können alle sich jederzeit bei Bedarf darauf beziehen, einander daran erinnern und immer wieder versuchen, es mehr zu leben. Mit der Zeit werden die angestrebte Kultur und die reale Kultur immer deckungsgleicher, sodass die Arbeit immer störungsfreier abläuft und sich Flow-Erlebnisse immer öfter einstellen.
Damit ein Team-Agreement im Alltag die gewünschte Wirkung entfalten kann, hilft es, wenn das Agreement als Werkzeug genutzt wird. Das geschieht dann am besten, wenn es immer wieder Gesprächsthema ist. Zum Beispiel kann sich das Team regelmäßig in der Teamsitzung zu einem Satz aus dem Agreement Gedanken machen: Wie gut setzen wir das schon um? Was nehme ich mir selber vor, um diesen Satz noch mehr im Alltag zu leben?
Wenn neue Personen ins Team kommen, ist das ebenfalls eine gute Gelegenheit, das Team-Agreement vorzustellen und gemeinsam zu überlegen, welche noch nicht inkludierten Punkte das Team-Agreement ergänzen könnten. So wird auch das neue Teammitglied Teilhaber oder Teilhaberin der Vereinbarung.
Lade dir hier eine PDF-Version dieses Artikels runter